[Review] Immortality - Jack-Reviews.com

[Review] Immortality

FMV Game
 
Immortality ist das neueste und ambitionierteste FMV Spiel von Sam Barlow, dem Schöpfer von Her Story und Telling Lies. Anstatt sich auf eine Story zu fokussieren, hat er diesmal nämlich drei Filme geschossen, inklusive Making of Material wie Castings, Probedurchläufe und Interviews. Da die Filme aus unterschiedlichen Epochen stammen sollen, kommen außerdem unterschiedliche Bildformate sowie körnige Bildqualität zum Einsatz, wodurch die Filme tatsächlich so wirken als ob sie mehrere Jahrzehnte alt sein könnte. Das fühlt sich also alles so authentisch an, dass es für die Schauspieler vermutlich wie eine richtige Filmproduktion gewirkt haben muss. Der einzig gravierende Unterschied besteht darin, dass keiner der Filme in vollständiger Form existiert. Laut der Hintergrundgeschichte haben tragische Ereignisse nämlich dazu geführt, dass keiner von ihnen je veröffentlicht wurde. Man hat hier also nur einen Batzen an Archivmaterial zur Verfügung und muss versuchen die Filme so gut wie möglich zu rekonstruieren.
 
Wer Sam Barlows vorherige Projekte gespielt hat, wird vermutlich eine Ahnung haben wie das ablaufen könnte, liegt damit aber komplett daneben. Anstatt sich Notizen zu machen und damit Nachforschungen anzustellen, klickt man nämlich auf Personen und Objekte und springt somit von Szene zu Szene. Bücher führen zu Büchern, Schauspieler zu anderen Szenen in denen sie vorkommen, und in manchen Fällen scheint die neue Szene komplett willkürlich gewählt worden zu sein da sie nichts mit dem vorherigen Objekt zu tun hat. Im Großen und Ganzen funktioniert dieses System aber überraschend gut, vor allem wenn man bedenkt dass hier über 200 Videos enthalten sind.


Verglichen mit den Vorgängern ist es auf den ersten Blick aber fürchterlich stumpf da es keinerlei Mitdenken erfordert. Man klickt sich einfach nur wahllos durch die Story und hofft dass der Algorithmus einem nicht ständig die selben Clips vor die Nase wirft, wofür es übrigens keinerlei Hinweise gibt. Man kann die Clips nur als Favoriten markieren um somit festzuhalten welche man schon kennt. Die Favoriten werden allerdings nur in der Übersicht angezeigt und nicht innerhalb der Videos selbst. Und wenn man die Story möglichst chronologisch erleben will, muss man jedes mal manuell den vorherigen Clip raussuchen, da es leider keinen Hotkey für gibt. Das Spiel chronologisch anzugehen ist praktisch gesehen aber eh so gut wie unmöglich, da die Filme, wie richtige Produktionen, komplett durcheinander gedreht wurden.

Bei Minsky, dem zweiten Film, wurde das Ende zum Beispiel schon sehr früh geschossen. Da mag zwar eine gewisse Logik hinter stecken, aber durch das willkürliche Rumgeklicke ist es extrem einfach sich alle Twists vorweg zu nehmen. Und das hat in meinem Fall dazu geführt dass ich nach 7 Stunden, gegen Ende des ersten Films, plötzlich mit den Credits konfrontiert wurde. Das finale Video habe ich zwar direkt abgebrochen, aber das änderte nichts daran dass hier etwas vorweggenommen wurde, was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich verstanden habe. 11 Stunden später war ich zwar wesentlich schlauer, habe aber trotzdem nicht verstanden warum das Ende so früh getriggert wurde. Vor allem da ich mittlerweile weiß, dass das Spiel sehr genau trackt was man bereits gesehen hat. Das finale Video macht allein nämlich keinen Sinn. Stattdessen hätte ich mindestens noch einen weiteren Clip sehen müssen der tatsächlich erklärt was dort vor sich geht. Und das ist kein Video das man einfach so zu sehen bekommt.
 
Sexploitation B-Movie
 
Die 202 Videos die man im Laufe des Spiels freischaltet, stellen nämlich nur die oberste Ebene der Story dar. Wer tiefer in Immortality eintaucht, dürfte aber genug Videos finden um noch einen vierten Film damit zu füllen. Wie genau das vonstatten geht will ich hier aber nicht spoilern, da das Spiel selbst so gut wie nichts darüber verrät. Ich kann allerdings sagen dass es sehr unintuitiv und inkonsistent ist, vor allem wenn man mit Maus und Tastatur spielt. Obwohl es nirgends erwähnt wird, scheint das Gameplay nämlich auf Controller zugeschnitten worden zu sein. Damit erhält man immerhin Feedback das mit Maus und Tastatur schlichtweg nicht existiert. Was mir aber auch nur deswegen aufgefallen ist weil ich die ganze Zeit einen Controller angeschlossen hatte.

Es gibt zwar andere Hinweise die einem helfen können tiefer in die Story einzutauchen, aber selbst die sind nicht immer präsent. Wer wirklich alles sehen will was das Spiel zu bieten hat, kommt um Trial & Error also nicht herum. Und damit dürfte das Spiel vermutlich um die 20 Stunden dauern. Bei mir waren es jedenfalls 18 als ich endlich das finale Video erreicht hatte. Obwohl ich versucht habe so gründlich wie möglich vorzugehen und nochmal ältere Clips durchsucht habe nachdem ich die Mechaniken verstanden habe, wurde mir das letzte Achievement aber leider verwehrt. Und ich habe kein Interesse nochmal all die Videos durchzugehen um den Rest der Clips ausfindig zu machen.

Found Footage
 
Das liegt aber nicht nur an all den Stunden die ich bereits in das Spiel investiert habe, sondern auch daran, dass ich die Story nicht besonders gut fand. Das Mysterium das hier verwoben wurde hat zwar einige interessante Momente zu bieten, aber für 18 Stunden war es mir vom Umfang her viel zu dürftig als dass es mein Interesse auf Dauer hätte halten können. Dass einige Szenen fünf- oder sechsmal ohne Änderungen recycelt wurden hat das nur verschlimmert, weil dadurch interessante Entdeckungsmomente augenblicklich ruiniert wurden. Das habe ich mir anfangs zwar damit erklärt, dass somit jeder diese Szenen finden kann, ganz egal in welcher Reihenfolge man die Videos schaut, das macht rückblickend aber keinen Sinn. So gut wie alle wiederholten Videos sind nämlich im ersten Film versteckt anstatt über das komplette Spiel verstreut zu sein. Und damit ist Ambrosio, zumindest auf dieser Ebene, der schwächste Teil des Spiels.

Auf sich allein gestellt ist der erste Film aber der unterhaltsamste von allen. Nicht weil er gut wäre, sondern weil es sich um B-Movie Sexploitation Schlock handelt in dem eine Frau sich als Mönch verkleidet um dem heiligsten Mann des Klosters, den namensgebenden Ambrosio, zu verführen. Ihr könnt also mit einigen absurden Momenten, viel nackter Haut und mehreren Sex-Szenen (von denen eine den wunderbaren Satz "I will fuck you into Heaven!" enthält) rechnen. Im Gegensatz zu vielen B-Movies können sich die schauspielerischen Leistungen aber durchaus sehen lassen. Selbst die von Manon Gage, welche Marissa Marcel verkörpert, den Charakter um den sich mehr oder weniger das komplette Spiel dreht. Laut IMDB ist Immortality nämlich ihr erstes großes Projekt, was man ihr aber überhaupt nicht anmerkt. Nicht mal an der Stelle an der sie singen muss, wo sie eine erstaunlich gute Performance abliefert.

Manon Gage

Die Chemie zwischen ihr und Ty Molbak, welcher den Schönlingsdetektiv Carl Goodman verkörpert, ist außerdem einer der wenigen positiven Aspekte von Minsky, dem zweiten Film. Dieser Thriller, in dem ein Künstler scheinbar von seiner Muse ermordet wurde, mag von der Idee her zwar okay sein, aber diesen nur bruchstückhaft erleben zu können hat für mich nicht wirklich funktioniert. Und da es sich, trotz ein paar entblößter Brüste, nicht mehr um einen Sexploitation Film handelt, ist er leider nicht so amüsant wie Ambrosio. Einzig das Ende fand ich, aus Gründen die ich hier nicht nennen werde, sehr interessant.

Zum letzten Film würde ich außerdem sagen, dass er auf den ersten Blick am langweiligsten wirkt, da es hier um einen Popstar und dessen Body Double geht, welche beide von Manon Gage gespielt werden (plus einem Stand-in, welche in den meisten Szenen so platziert ist dass man den Unterschied nicht sieht). Two of Everything hat dafür die dramatischsten Ereignisse zu bieten (von denen einer aber nur in Form eines Probedurchlaufs enthalten ist) und hätte in Form eines richtigen Films, dessen Twist nicht vorweggenommen wird, vermutlich ganz gut funktioniert. Für die übergreifende Story ist dieser Film außerdem am wichtigsten, und das nicht nur weil er das finale Video enthält. Ohne Wissen aus den vorherigen Filmen dürften einige Szenen aber keinen Sinn ergeben, von daher kommt man nicht umhin erst mal 10+ Stunden in den Rest des Spiels zu investieren.
 
Immortality Sam Barlow

Ob sich das lohnt muss jeder selbst entscheiden. Laut Reddit und diversen Reviews ist Immortality für manche Spieler immerhin ein 10/10 Titel und somit GOTY Material. Für mich ist es aber nur ein interessantes Konzept das unter der willkürlichen Natur des Gameplays und der langen Spielzeit leidet. Es mag zwar auch ein interessanter Blick in die Filmbranche sein und versucht ernste Themen, wie sexuelle Belästigung anzuschneiden, letzteres wird aber nur oberflächlich als existent dargestellt, hat für die involvierten Männer aber keinerlei Folgen.
 
So wird Marissa an einer Stelle zum Beispiel ungefragt geküsst, was ihr offensichtlich unangenehm ist, aber abgesehen davon passiert nichts weiter. Mag zwar realistisch sein, vor allem für eine Schauspielerin die noch neu in der Branche ist und somit ihre Karriere nicht riskieren will, aber da hätte man sicher mehr draus machen können. Stattdessen erwähnt Marissa sogar dass sie Spaß an den Sex-Szenen in Ambrosio hatte und dass es sowas häufiger geben sollte. Und das obwohl ihr männlicher Co-Star die Menge an Sex tatsächlich in Frage gestellt hat.

Brüste

Immortality hätte meiner Meinung nach aber auch wesentlich besser sein können wenn Sam Barlow sich auf einen Film beschränkt hätte. Zum einen weil das Mysterium dann dichter in die Story hätte verwoben werden können, und zum anderen weil die ernsten Themen mit permanenten Charakteren besser hätten beleuchtet werden können als mit drei größtenteils separaten Gruppen.
 
So empfand ich zwischendurch aber zu viel Langeweile, weswegen ich meist nicht länger als 2 Stunden am Stück gespielt habe. Und dementsprechend würde ich jedem dazu raten sich erst mal Her Story oder Telling Lies anzuschauen. Oder The Infectious Madness of Doctor Dekker, wenn es eine übernatürliche Story sein soll. Letzteres ist vom Umfang her zwar auch recht üppig, hat mich aufgrund der interessanten und abwechslungsreichen Geschichten aber bis zum Ende in seinen Bann gezogen.
 

>> Das Spiel kann auf Steam erworben werden <<

Abschließende Bewertung


Immortality ist zwar ein sehr ambitioniertes FMV Spiel, aber die willkürliche Art und Weise wie man die Story erlebt ruiniert leider das Gesamterlebnis. Und für eine Spieldauer von bis zu 20 Stunden sind weder die einzelnen Filme, noch das übergreifende Mysterium interessant genug.

 

Positive Aspekte von Immortality

  • Die Filme wirken aus technischer Sicht sehr authentisch und könnten dementsprechend beinahe mit richtigen Filmen verwechselt werden.
  • Die schauspielerischen Leistungen sind überraschend gut, vor allem wenn man bedenkt dass die Hauptdarstellerin noch neu in der Branche ist.
  • Praktisch gesehen ist das Gameplay etwas involvierter als in Sam Barlows vorherigen Projekten. Man muss aber erst mal verstehen wie es überhaupt funktioniert.

 

Negative Aspekte von Immortality

    • Das Ende kann bereits vor Abschluss des ersten Films getriggert werden, selbst wenn man keine Ahnung hat was da eigentlich vor sich geht.
    • Das Gameplay wird nicht besonders gut erklärt und funktioniert mit Maus und Tastatur schlechter als mit Controller.
    • Das Mysterium ist nicht interessant genug als dass es eine Spieldauer von bis zu 20 Stunden rechtfertigen könnte.
    • Die einzelnen Filme sind nicht besonders gut und die nicht-lineare Struktur des Spiels macht es so gut wie unmöglich deren Stories ohne Spoiler zu erleben.
    • Willkürlich durch die Story springen zu müssen um neue Szenen freizuschalten macht keinen Spaß, vor allem wenn man anschließend versucht den Clip zu finden den man zuletzt geschaut hat.